“This is actually the purpose of language— to give meaning to concepts as they evolve.”
― Alok Vaid-Menon, Beyond the Gender Binary

Seit mehr als 100 Jahren kämpfen FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter, Trans, Agender) für ihre Rechte⚧.

GESCHICHTLICHER ABRISS

Der 8. März kann nicht gefeiert werden, ohne einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Mit einer mehr als hundertjährigen Tradition geht der feministische Kampftag unweigerlich mit einer Wiederaneignung von Geschichte einher – aber wessen Geschichte?

Am Anfang stehen die Kämpfe um das Wahlrecht für alle und gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Im Zuge dessen ebnet die ‚Socialist Party of America‘ bereits 1908 den Weg für eine jährliche Demonstration für das Wahlrecht für Frauen und lässt dazu 1909 den ersten ‚Woman’s Day‘ stattfinden. Die Idee für einen internationalen Frauentag schlägt May Wood-Simmons bei der Frauenkonferenz 1910 in Kopenhagen vor, woraufhin die deutsche Sozialistin Clara Zetkin 1911 den ersten Internationalen Frauentag (und folgende) institutionalisiert. Von Beginn an standen hierbei die Verschmelzungen von Klassismus und patriarchalen Strukturen im Fokus, der Grundstein für den Kampftag wurde rund 50 Jahre zuvor mit den entbehrungsreichen Streiks der Textilarbeiterinnen in New York gelegt.

Angefangen mit der Forderung nach Brot und Rosen im Kampf um das Frauenwahlrecht, richteten sich die Kämpfe der weißen Aktivistinnen in den USA explizit gegen das Wahlrecht für Schwarze. Die Geschichte des 8. März wird zumeist aus einer romantisierten weißen und eurozentrischen Perspektive erzählt. Eine Erzählung, die sich durch Auslassungen definiert und eigene Rassismen unkritisch ignoriert. 

Der Einsatz für das Wahlrecht unabhängig vom Geschlecht betraf in vielen Ländern nicht alle Menschen. Die Kämpfe waren von Rassismus durchzogen und mit der Kolonialgeschichte verknüpft. In Kenia erhielten 1919 nur weiße Frauen das Wahlrecht. Bis in die 1920er Jahre durften Schwarze Frauen in vielen US-Bundesstaaten nicht wählen. Weiße Suffragetten traten für die Binarität der Geschlechter ein. Für sie war die Vorstellung, dass es nur zwei Geschlechter gibt, die gegensätzlich konstruiert sind und sich gegenseitig definieren, eine weiße Errungenschaft. Es ging keineswegs darum, Geschlecht zu dekonstruieren, sondern vielmehr darum, bestehende Modelle aus einer differenzfeministischen Perspektive zu verfestigen. Eine der bekanntesten amerikanischen Suffragetten, Susan B. Anthony, betonte deutlich, dass sie sich nicht für die Wahlrechtskämpfe der Schwarzen engagierte. Ihr Aktivismus kann als Versuch entlarvt werden, sich einen Platz am Tisch neben weißen Männern zu sichern und die weiße Vorherrschaft zu festigen. „It will more than double native white majority“ schrieb ein Flugblatt von 1912 explizites Ziel der Entrechtung von BIPoC. Die Kämpfe um das Frauenwahlrecht in den USA sind ein Brennglas für die dichotome Binarisierung von Männern und Frauen und die inhärente Festschreibung zweier gegensätzlicher Geschlechterkategorien als weiß

FEMINISTISCHER KAMPFTAG STATT FRAUENTAG
 

Die Politikwissenschaftlerin, Autorin und Aktivistin Emilia Roig prägte den Begriff „Feministischer Kampftag“ anstelle von „Weltfrauentag“. Immer wieder wird die Befürchtung geäußert, die Sichtbarkeit von Frauen könne durch diese Bezeichnung verschwinden. Frauen verschwinden nicht im Feminismus, sie profitieren von ihm. Nicht-binäre Menschen, Agender und trans Männer verschwinden Weltfrauentag. Sie werden unsichtbar gemacht, Kämpfe, Aktivismus und Geschichte werden verschluckt. Die Subjekte des Feminismus sind vielfältig. Das Wort ‚Frau‘ ist kein zusammenfassendes Substantiv, schon gar nicht mit einem Sternchen dahinter. Intersektionen stehen nicht für sich, sondern bedingen einander. Auch die Bezeichnung ‚Frauentag‘ greift zu kurz. ‚Frau‘ als Nomen für das Subjekt des Feminismus zu setzen, ist binär und exklusiv.

 
 
Feministische Geschichte ist nicht weiße Geschichte, nicht europäische Geschichte und nicht ausschließlich Frauengeschichte. Eine historische Perspektive auf Binarität, Geschlecht, Sexualität und race ist notwendig, weil sie Zusammenhänge und Zustände der Gegenwart erklärt.
Die Politikwissenschaftlerin Felicia Ewert schreibt in ihrem Buch Trans.Frau.Sein (2020) dazu:

Intersektionalität meint nicht, wer zu wie viel Prozent diskriminiert wird, sondern die Tatsache, dass unterschiedliche Menschen unterschiedlichen Machtformen/Machtdimensionen unterworfen sind.

Intersektionale Zusammenhänge greifen ineinander und bedingen sich gegenseitig. Wir müssen uns fragen: Wen sehen wir und wen nicht? Wer wird unsichtbar gemacht? Am 8. März kämpfen wir also für das Hinterfragen normgebender Strukturen, für eine Gleichberechtigung aller Geschlechter und für die Sichtbarmachung all der Kämpfer*innen, die vor uns diesen Kampf angetreten sind.

 

Quellen/weiterführende Literatur:

Ewert, Felicia (2021): Trans. Frau. Sein. edition assemblage.

Hall, Radclyffe (erschienen 1927, nachdruck 1991): Quell der Einsamkeit. Harms by Gala Verlag.

Linke, Kai (2021): Good white Queers? Racism and Whiteness in Queer U.S Comic. queer studies volume 23. transcript Verlag. 

Reinfelder, Monika (Editor) Moore, Tracy / Gorna, Robin / Schulman, Sarah / Grau, Gunter / Schopman, Claudia / Wilson, Angela / Howard, Keith / Budiardjo, Carmel (1996): Amazon to Zami. Towards A Global Lesbian Feminism.

Roig, Emilia (2021): Why we Matter. aufbau Verlag.