Frau des Monats Mai 2021: Philomena Franz

01.Mai 2021 | Frau des Monats

 

 

Philomena Franz, geb. Köhler

 

Geboren am 21. Juli 1922 in Biberach an der Riß

Gestorben am 28. Dezember 2022 in Rösrath

 

Deutsche Sintiza, Porajmos-Überlebende, Zeitzeugin und Schriftstellerin

 

Philomena Franz wurde am 21. Juli 1922 in Biberach an der Riß geboren. Ihre Familie war eine angesehene Sinti-Familie von Musiker:innen und Theaterschauspieler:innen. Ihr Vater war Cellist, die Mutter war Sängerin. Philomena Franz wuchs mit sieben Geschwistern auf.

Bis 1938 reiste die Familie mit einem prachtvollen, von Pferden gezogenen Planwagen von Auftritt zu Auftritt. Schon als kleines Mädchen stand Franz auf der Bühne, tanzte und sang. Zu den Höhepunkten dieser Zeit zählen für sie u.a. die Auftritte im Berliner Wintergarten und im Lido in Paris.

Bereits 1936 begann die rassistisch motivierte Demütigung, Ausgrenzung und Verfolgung der Sinti:zze und Rom:nja, die sich auch in der NS-Gesetzgebung niederschlug. Zunächst wurde Franz 1938 aufgrund ihrer „rassischen“ Zugehörigkeit untersagt, weiterhin die Schule zu besuchen. Bei der Rückreise von einem Auftritt im Pariser Lido im August 1939 musste sich die Familie an der Grenze einer Gestapo-Kontrolle unterziehen. Ihr Auto, die Musikinstrumente sowie zahlreiche Wertgegenstände wurden konfisziert. Kurz darauf wurde ihnen ein Berufsverbot erteilt. Der sog. „Festsetzungserlass gegen Zigeuner“ der Nazis untersagte ihnen, ihren Wohnort zu verlassen, jede Reise war verboten. Philomena Franz musste Zwangsarbeit bei einer Stuttgarter Rüstungsfirma leisten.

In ihrer autobiografischen Schrift „Zwischen Liebe und Hass“ beschreibt Franz, dass sie mit 21 Jahren, im Frühjahr 1943 ins KZ Auschwitz-Birkenau, ins sog. „Zigeunerlager“ deportiert wurde. In diesem Lager wurden zwischen Februar 1943 bis Juli 1944 ca. 21.000 Sinti:zze und Rom:nja inhaftiert. Philomena Franz wurde die Häftlingsnummer Z 10550 tätowiert. Zusammen mit anderen, noch arbeitsfähigen Häftlingen wurde sie ins KZ Ravensbrück deportiert. Dort traf sie ihre ältere Schwester wieder, die sie aufgrund des körperlichen Verfalls kaum wiedererkennen konnte. In der Munitionsfabrik von Ravensbrück musste Philomena Franz körperliche Schwerstarbeit leisten: Sie goss, ohne jegliche Schutzausrüstung, Sprengbomben. Nach einem missglückten Fluchtversuch wurde sie zur Abschreckung an den Galgen gebunden. Sie überlebte, musste sich aber in Oranienburg der Folter von Gestapo-Beamten unterziehen und einige Wochen in einer Dunkelzelle überstehen. Ein jüdischer Lagerarzt warf ihr etwas Brot in die Zelle, es war ihre Rettung.

Mit dem Krankentransport führte ihr Weg zurück nach Auschwitz. Sie stand schon kurz vor den Gaskammern, als ein SS-Offizier sie zur Lagerarbeit abkommandierte. Schließlich wurde sie in ein Lager bei Wittenberge an der Elbe verlegt. In einer Flugzeugfabrik musste sie erneut Zwangsarbeit leisten. Von diesem Lager aus gelang ihr im April 1945 die zweite Flucht. Sie durchschwamm die Elbe und fand schließlich Zuflucht bei einem älteren Mann, der sie bis zur Ankunft der russischen Soldaten versteckt hielt.

 

Der Großteil ihrer Familie, unter ihnen auch die Eltern und fünf der sieben Geschwister, wurden im Porajmos ermordet. Außer Philomena überlebten zwei ihrer Brüder. Ihren Bruder Fritz fand sie nach Kriegsende wieder. Zudem lernte sie ihren zukünftigen Mann, einen Sinto aus Pommern, kennen. Mit ihm, ihrem Bruder, der Jazzgeige spielte und anderen Sinti-Musikern trat sie als Band in amerikanischen Offizierskasernen auf. Sie spielten Jazz und amerikanische Schlager.

Mit ihrem Mann bekam sie fünf Kinder. Philomena Franz bezeichnet sich selbst stolz als „Zigeunerin vom Stamme der Sinti“ und hat somit die von vielen Sinti:zze und Rom:nja als diskriminierend empfundene Fremdbezeichnung der Nazis als positive Selbstbezeichnung und Identität angenommen.

In den nach Kriegsende folgenden Jahrzehnten hatte Franz immer wieder mit schweren Depressionen zu kämpfen. Wiederkehrende Albträume, die ihr das andauernde Gefühl von Gefangenschaft vermittelten und Traumata wachrüttelten, plagten sie. Auch litt sie unter der fehlenden Anerkennung und Entschädigung von Sinti:zze und Rom:nja als Opfer des NS-Regimes. Eine Karriere als Musikerin konnte sie nicht weiterverfolgen.

Fortan war sie als Schriftstellerin tätig. Ihr erstes Buch mit dem Titel „Zigeunermärchen“ verfasste sie 1982. In den Märchen verarbeitete sie stets auch die Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen. Es folgte ihre Autobiographie „Zwischen Liebe und Hass – ein Zigeunerleben“ (1985). Ihre Botschaft lautet darin ganz klar: „Wenn wir hassen, verlieren wir. Wenn wir lieben, werden wir reich“. 2012 veröffentlichte sie einen Gedichtband, 2016 ihre zweite autobiografische Schrift mit dem Titel „Stichworte“. Ihr neuestes Buch trägt den Titel „Wie die Wolken laufen“.

Philomena Franz ist seit Jahrzehnten als Zeitzeugin tätig: In Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten und Medien, z.B. Talkshows oder Radiobeiträgen teilt sie mit den Menschen ihre Überlebensgeschichte. Als Zeitzeugin sieht sie sich in der Verantwortung, den nachfolgenden Generationen von ihren Erlebnissen zu berichten und setzt sich damit für Toleranz, Verständigung und gegen Rassismus gegen Sinti:zze und Rom:nja ein.

Franz gilt als die erste Sintizza-Schriftstellerin, die speziell auch über ihre Zeit in den Lagern und den Porajmos schrieb und reflektierte.

1995 wurde ihr für ihre Verdienste das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Von der zivilgesellschaftlichen Europäischen Bewegung Deutschland wurde sie mit dem Preis „Frau Europas 2001“ ausgezeichnet.

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